Heiri Fritschi – bereit für jeden Dienst
«Komm herüber und hilf uns!», gebannt schaut Heiri auf die Leinwand, wo Tariri, der grosse Häuptling der Shapra/Candoshi, im Film diese Worte eindringlich an die Zuschauer richtet. «Das gilt mir!», wurde ihm sofort bewusst. In der Jugendgruppe hatte er zusammen mit anderen jungen Leuten schon länger um Missionare für die Indigenen Südamerikas gebetet, nachdem beim Stamm der Aucas in Ecuador fünf junge Männer getötet worden waren, weil sie die gute Nachricht von Jesus auch in diesem Stamm verkündigen wollten. «Ich selber bin gerufen!» ging es dem 25-jährigen Heiri durchs Herz; erst recht, als nach der Filmvorführung der Redner des Abends erklärte, dass in Peru beim Aufbau einer Missionsstation junge Leute für den praktischen Dienst gesucht würden. Mit seiner landwirtschaftlichen Ausbildung, den Kenntnissen auf dem Bau und gewohnt, lange und streng zu arbeiten, hatte er gute Voraussetzungen für diese Pionieraufgabe. Der «Freundeskreises für Indianer-Mission (FIM)», der ihn aussenden würde, bestand erst kurze Zeit und besass kaum Finanzen. Vieles war noch unklar und musste sich dann vor Ort zeigen. Heiri bereitete sich so gut es ging auf sein Leben in Peru vor. Auf eigene Faust reiste er nach Spanien, um Spanisch zu lernen. Als ihm dort aber nach sechs Wochen sein ganzes Geld gestohlen wurde, kehrte er wieder in die Schweiz zurück. In Büchern las er über Tropenlandwirtschaft und lernte bei einem Metzger, wie man eine Kuh schlachtet und zerlegt. Im März 1959 war es dann soweit. Heiri reiste mit dem Schiff auf eigene Kosten in dreieinhalb Wochen von Genua nach Lima. Er schlief in einer Viererkabine und zu den Mahlzeiten gab es meistens Teigwaren! Die Zeit auf dem Wasser nutzte er, um besser Spanisch zu lernen. Wann er wohl die Schweiz wieder sehen würde?
In Perus Hauptstadt wurde er von einem Köbi Stutz abgeholt, den er eigentlich nicht kannte. Zusammen kauften sie einen billigen, japanischen Jeep, denn das Budget dafür war knapp bemessen. Die fünftägige Fahrt über die Anden war ein Abenteuer für sich. Schliesslich trafen sie aber wohlbehalten in der Urwaldstadt Pucallpa ein.
Auf einem Landstück, 15 Kilometer vor der Stadt, sollte die Missionsstation entstehen. Heiri liess sich von Einheimischen zeigen, wie ein Haus mit Palmblätterdach gebaut werden musste. Der Zufahrtsweg und ein Sodbrunnen entstanden. Schon im Oktober fand in dem einfachen Zentrum der erste Bibelkurs mit 25 indigenen Studenten statt. Heiri war für alle praktischen Belange verantwortlich. In den folgenden Monaten und Jahren trafen neue Mitarbeitet aus Europa ein – einige davon auch für den praktischen Arbeitsbereich. Die Zahl der Bibelschüler vergrösserte sich. Heiri hatte alle Hände voll zu tun, um mit anderen zusammen Häuser zu bauen, Zugangswege zu erstellen und die Versorgung mit Lebensmitteln sicherzustellen. Er gründete auch eine Viehzucht, aus deren Gewinn teilweise die Kursarbeit getragen werden sollte. Keine Arbeit war ihm zu streng oder zu gering. Er setzte sich dort ein, wo Not am Mann war z.B. wenn nach dem Bibelkurs die Wolldecken der Bibelschüler von Hand ausgewaschen werden mussten.
Nach drei Jahren verbrachte er einige Wochen in der Schweiz, wo er Gerda, seine zukünftige Frau kennen lernte. Schon ein Jahr später heirateten sie und bekamen im Laufe von sechs Jahren drei Kinder.
Das Leben im ersten Zentrum, nahe an der Hauptstrasse, war sehr einfach. Tomas, der Älteste, fiel einmal im offenen Teil des Hauses, der ohne Seitenwände war, vom Palmholzboden hinunter in den Matsch. Ein anderes Mal stürzte nachts bei starkem Wind eine Palme aufs Hausdach. Gott sei Dank kam niemand dabei zu Schaden. Wie gut, dass ab 1965 eine neue, grössere Station mit zweckmässigeren Häusern, die neben den laufenden Arbeiten am alten Ort entstanden war, bezogen werden konnte.
Auch wenn Heiri am liebsten draussen auf dem Feld und bei den Tieren war, hielt er anderen Missionaren den Rücken frei, indem er sich in der Feldleitung einbrachte. «So können die Stammesmissionare reisen und das Evangelium weitergeben», meinte er.
Heiris Markenzeichen war das Taschentuch, welches er anstelle eines Sonnenhutes bei der Arbeit mit dem Traktor oder sonst in der Landwirtschaft auf dem Kopf trug. Die Einheimischen schätzten Heiri und seinen Einsatz, weil er mit ihnen auf dem Feld und mit den Tieren anpackte.
Als Heiri und Gerda 1986 nach Lima umzogen, um dort die Leitung der Administration und des Gästehauses zu übernehmen, brachte das grosse Veränderungen mit sich. Der Landwirt musste sich mit Schreibtischarbeit anfreunden und das Leben auf dem Land gegen die Grossstadt eintauschen. Und Gerda unterstützte ihn auch hier tatkräftig, so wie sie es im Urwaldtiefland gemacht hatte.
Ich erinnere mich, wie wir ihn eines Tages in einer Strasse, nahe dem Büro antrafen. Mit einer Mappe unter dem Arm kam er von einem Gang auf eines der staatlichen Ämter zurück. «Diese Aufgabe ist nichts für junge Leute», meinte er. «Man ist den ganzen Tag unterwegs und fragt sich am Abend, was man denn eigentlich erreicht hat.» Einfach da sein, wo er gebraucht wurde – egal ob es Lorbeeren dafür gab oder nicht – das zeichnete Heiris Dienst in der Mission aus.
Nach der Pensionierung, wo sich Heiri und Gerda in der Schweiz in Embrach niederliessen, suchte Heiri nach neuen Aufgaben, wo er mithelfen konnte. Betagte besuchen und ihnen Mittagessen verteilen, gehörte nun zu seinen Diensten. Er blieb interessiert über die Entwicklungen in der Missionsarbeit bei indicamino und war ein treuer Beter für deren Anliegen. In den letzten Jahren hat er die Schwächen und Einschränkungen des hohen Alters mit erstaunlicher Gelassenheit getragen.
Dass Menschen Jesus kennenlernen – egal ob sie in der Schweiz oder in den abgelegensten Dörfern des peruanischen Urwaldgebietes zuhause waren – gehörte bis zuletzt zu seinen Herzensanliegen. Nun hat Heiri mit über 91 Jahren hier auf Erden sein Leben abgeschlossen und darf bei seinem Herrn sein, dem er gedient hat.
Betty Kämpf